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Bundesfeier Oberurnen

Aktualisiert: 2. Aug. 2023

Oberurnen ist mein geliebter Wohnort und feiert den 1. August bereits am 31. Juli. Dieses Jahr hat mich der Verkehrsverein als Nationalratskandidatin eingeladen, die 1.-August-Rede zu halten.


Guten Abend miteinander

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Liebe Oberurnerinnen und Oberurner

Liebe Gäste


Die Kinder fragen: «Warum überall diä Schwiizerfänä? Warum lümmer Zigerstöggli ab? Warum lümmer bidr Mariawand Glut obenabä?» Die Eltern geben zur Antwort: «Weil heute die Schweiz Geburtstag hat.» Meistens sind die Kinder dann zufrieden mit dieser Antwort – ausser vielleicht unsere Tochter Sofie, die auch am 1. August Geburtstag hat und immer gefunden hat: «Aber heute – das ist MEIN Geburtstag!»


Ja, wir alle haben uns heute hier versammelt, um den Geburtstag der Schweiz zu feiern. Herzlich willkommen. Ich freue mich sehr und fühle mich geehrt, dass der Verkehrsverein mich angefragt hat, und dass ich heute die Ansprache halten darf.



Es gibt Stimmen, welche sagen, das mit dem Geburtstag der Schweiz sei nicht korrekt; man müsse den Tag der Bundesverfassung von 1848 nehmen oder wann das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Das hat sicher seine Berechtigung – und gleichzeitig ist für mich die Schweiz nicht nur an einem Tag entstanden und die Entwicklung ist nicht abgeschlossen. Unsere Demokratie entwickelt sich hoffentlich weiter als Grundlage für eine immer chancengerechtere Gesellschaft. Wichtig finde ich, dass wir uns an diesem Tag besinnen und uns fragen, wohin wir als Gesellschaft wollen.


Ich glaube, Sie alle wären heute nicht da, wenn Sie sich nicht in irgendeiner Art und Weise Oberurnen zugehörig fühlten. Vielleicht wohnen Sie da. Vielleicht schaffen Sie da. Vielleicht sind Sie vor Kurzem hierher gezügelt. Vielleicht haben Sie aus Ihrem Land flüchten müssen. Vielleicht haben Sie Familienangehörige da, Freunde, Vereinskolleginnen.


Was ich aber von Ihnen allen vermute:


Sie sind da, weil Sie die Gemeinschaft schätzen. Ja, ich denke, wir haben uns heute auch versammelt, um die Gemeinschaft, um das Gemeinsame, das uns verbindet, zu feiern.

So freuen Sie sich sicher über das Gespräch mit dem Sitznachbarn, über einen Witz. Miteinander der Musik lauschen, miteinander etwas essen und trinken. Das Miteinander gibt uns ein Gefühl von Heimat und erfüllt uns mit Dankbarkeit.


Mein Vater Jakob Fehr hat als frischgebackener Gemeindepräsident von Oberurnen im Jahr 1990 die 1.-August-Rede gehalten. Dabei hat er über die Vaterlandsliebe nachgedacht, ich zitiere:


«Vaterlandsliebe heisst also sich dort einzusetzen, wo man zu Hause ist und sich so einzusetzen, dass sich alle zu Hause, d.h. sich wohl fühlen können.»

33 Jahre später sage ich das Gleiche in anderen Worten, und vielleicht ist es noch wichtiger geworden, dass wir uns im wahrsten Sinne begegnen; uns die Hand geben, in die Augen schauen und miteinander reden.


Warum ist das wichtiger geworden? Das möchte ich Ihnen gerne darlegen.

Ich habe 1) eine Sorge für die Zukunft und 2) gleichzeitig eine Hoffnung.


Das ist meine Sorge:

Früher sagte man manchmal: «Papier nimmt alles an.» Ja, ein gesundes Misstrauen ist nicht schlecht. Mir kommt es aber heute so vor, als wenn sich das verstärkt hat. Immer wieder höre ich jemanden sagen: «Man kann ja niemandem mehr glauben.»


Wir wissen, dass die sozialen Medien so gesteuert sind, dass wir nur noch diejenigen Mitteilungen bekommen, welche uns gefallen. Das führt dazu, dass wir in unseren Blasen hocken, wo alle die gleiche Meinung haben. So sind mir nicht gezwungen zum Diskutieren (ja, sind wir ehrlich, das ist manchmal anstrengend), wir meinen gerade sofort zu wissen, was richtig ist und was falsch.


Es gibt kriminelle Firmen, welche gegen Bezahlung Falschmeldungen über Ereignisse oder Personen auf der ganzen Welt verbreiten. Und jetzt kommt noch die Künstliche Intelligenz hinzu; je nachdem, von wem sie gefüttert wird, lenkt sie unser Wissen.


Alle die, welche gerne zeuseln und lieber unsere Ängste bewirtschaften, anstatt die Probleme lösungsorientiert anzugehen, sie treiben unsere Gesellschaft ebenfalls auseinander und fördern Spaltungen so weit, dass ein gegenseitiger Austausch nicht mehr möglich ist.

Das macht mir grosse Sorgen. Unsere direkte Demokratie ist ein austariertes Modell, welches sich auch aus dem Grund immer weiter verbessert, weil die Bevölkerung den Institutionen und der Politik ein grosses Mass an Vertrauen entgegenbringt. Wenn wir das Gefühl bekommen, dass man niemandem mehr glauben kann, auch seriösen Absendern wie z.B. dem Bund nicht, dann ist das schlecht. Wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien und in die Politik schwindet, dann hat unsere Demokratie ein grosses Problem.


Und jetzt zu meiner Hoffnung:

Wir lassen das nicht zu! Wir lassen nicht zu, dass diese Tendenzen Ãœberhand nehmen.

Auf politischer Ebene bedeutet das, dass nicht Ängste geschürt, sondern Lösungen aufgezeigt werden – und dass man sich dann ohne Grabenkämpfe an die Arbeit macht.

Auf persönlicher Ebene, im Alltag können wir uns für eine gesunde Diskussionskultur und schlussendlich für eine gelebte Demokratie einsetzen, indem wir uns weiterhin mit Respekt und «in echt» (wie wir jetzt da) begegnen.


Wir schauen uns in die Augen und sehen einen Menschen uns gegenüber. Hat er eine andere Meinung als ich, dann frage ich warum und höre seine Gründe. Auch wenn ich bei meiner Meinung bleibe, kann ich nachvollziehen, kann ich verstehen, warum er oder sie so fühlt – und eine Brücke ist gebaut.

Jede sympathische Begegnung ist ein Gewinn. Er ist nicht materiell, er kann nicht in Zahlen beziffert werden. Aber wir Menschen brauchen ihn – weil wir Menschen sind und keine Maschinen, keine Algorithmen. Weil wir die Zwischentöne hören, weil wir Gefühle haben, weil wir soziale Wesen sind, die zugrunde gehen, wenn wir einsam sind.


So stärkt jede gute Begegnung unser Vertrauen in die Welt und an das Gute und stärkt – wie ich vorher ausgeführt habe – auch unsere Demokratie. Ich wünsche mir darum, dass wir unseren direkten Austausch, unsere Begegnungen bewahren und dass wir sie weiter bewusst pflegen.


Zuhause sein:

Ich stehe da vor Ihnen als stolze und glückliche Einwohnerin von Oberurnen. Ich fühle mich hier zu Hause und darum habe ich mir gedacht, dass ich in meiner Rede auch ein wenig persönlicher sein darf, als ich sie an einem anderen Ort wäre.


Als ich diese Rede schrieb, habe ich mich nämlich an meine früheren Begegnungen als Kind hier in Oberurnen erinnert. Gerne erzähle ich Ihnen ein paar Müsterchen:


Ich habe sehr gerne geflötet (übrigens bei Frau Maspoli und Herrn Zwicky gelernt) und ich durfte in der Kirche mit den andern Kindern auftreten. Der Herr Emil Hug hat das mitbekommen und mir eine Sopranin-Flöte geschenkt. Er hat in der Zigerriibi gearbeitet. Als ich dann zu Hause in die Flöte hinein geblasen habe, hat sich die Stube mit Zigerduft gefüllt. Zigerbrüüt und Flötenmusik sind seit da für mich eng miteinander verbunden.


Oder: Immer, wenn es fest gewittert hat, haben wir ganz gespannt hinüber zum Kapelleli geschaut. Und siehe da, der Sigrist Emil Noser, wie er in gebückter Haltung tief unter dem Regenschirm todesmutig zum Kapelleli sprintet und bald drufabe ist das «wilde Gebimmel der Glocken erklungen». Er hat es jedes Mal geschafft, dass das Gewitter weitergezogen ist…


In dem Kapelleli haben mein Mann Fritz und ich vor 25 Jahren geheiratet – das ist nur möglich gewesen dank dem Herrn Pfarrer Müller, der sich für die Ökumene stark gemacht hat.


Ein anderes Gebäude, welches wichtig war für mich… dem trauere ich immer noch nach. Es hat dem Dorf Oberurnen einen Dorfplatz gegeben und ich bin gerne dort ein und aus gegangen: das alte Dorfschulhaus. - Ich habe in meinem Hinterkopf schon lange die Idee, dass wir den Platz wieder aufleben lassen. Wo man zum Beispiel an einem Samstag-Morgen einfach ungezwungen ein bisschen beieinander höcklen kann.


Aber zurück zum Dorfschulhaus: Zuunterst hat es eine Turnhalle gehabt und dort hat auch die Fasnacht stattgefunden. Ich bin ein scheues Kind gewesen und habe nie viel gesagt – aber an der Fasnacht in meiner Rolle war das anders. So bin ich in der zweiten Klasse als Hexe verkleidet gegangen und habe mit allen ein bisschen frech geredet – auch mit dem Lehrer Zwicky. Irgendwann hat sich dieser dann so über den Bart gestrichen und gesagt: «Jääää, ich glaub, ich weiss, wer das ist…» Und ich? Habe dann geschaut, dass ich heimkomme.


Wenn wir an einem Sonntag Besuch gehabt haben, dann ist es immer wunderbar gewesen, wenn wir zu der Frau Beck-Müller gehen durften, um ein Kuchenstück zu kaufen.

Ich weiss nicht, wie ich zu dieser Ehre gekommen bin, aber der Bauer Fränz Hunold hat mich immer wieder mal geholt, damit ich ihm helfe, die Rindli einzutun – das habe ich immer gerne gemacht. Wenn eines gebockt hat, dann habe ich so schräg hinter ihm ein kleines Gümplein gemacht – und das hat immer funktioniert.


Zum Schluss möchte ich noch jemanden in Erinnerung rufen, die den gleichen Beruf hatte wie ich, und ihr Lieblingsplatz war die östliche Ecke der Metzgerei Berwert… Richtig, das war die Gemeindeschwester Frau Stähli.


Sie sehen, diese und noch viel mehr Begegnungen sind bei mir haften geblieben, ich trage sie mit mir mit, und sie sind ein grosser Schatz. Wenn man so anfängt, sich bewusst zu erinnern, kommen einem immer noch mehr Geschichten in den Sinn. Ich hoffe, ich habe Sie angeregt, dass sie nachher an ihrem Tisch noch ein wenig in Erinnerungen schwelgen.



Wenn ich heute durch Oberurnen gehe, freue ich mich über unser lebendiges Dorf.

Wir haben die Vereine, die uns z.B. den Anlass mit dem Schnellst Oberurner Chind bescheren, natürlich die Fasnacht (weiterhin sehr wichtig), die Chilbi, Turn- und Musik-Chränzli, die Adventsfenster, den Chlauseinzug, den Skiclub, das Kinderturnen, den Familienträff oder den heutigen Abend und noch viel mehr, was ich jetzt nicht aufgezählt habe, das die Vereine für das Dorfleben machen.


Wir haben den Volg oder besser gesagt, den «Louis Müller» und die Metzgerei Berwert, «mir müend nüd wiit laufä zum im Dorf iichaufä». Wir haben Coiffeurgeschäfte, Restaurants und einen Take Away. Mir haben verschiedene KMUs, wir haben ein Schulhaus, ein Gemeindehaus, einmal im Monat einen Seniorenzmittag, und es gibt eine Dorf-Zeitung.


Und heute Abend trinken mir sogar unser eigenes Spinnerei-Bier!



Unser Dorf, ein warmherziges Dorf, ein freundliches, offenes, lebendiges Dorf, wo Begegnungen unsere Gemeinschaft prägen.


Ihr alle tragt dazu bei. Danke vielmal.


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